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Langeweile - Fluch oder Segen?

„Mir ist soooo langweilig!“ - Jeder von uns hat diesen Satz schon gehört. Von sich selbst, von Kollegen oder - am schlimmsten - von den eigenen Kindern. Doch was genau steckt hinter dem Phänomen der Langeweile? Was sind die Ursachen? Und hat Langeweile vielleicht sogar eine Funktion?


Im Duden wird „Langeweile“ als Gefühl des Nicht-ausgefüllt-Seins, als Eintönigkeit und Ödheit und Mangel an Abwechslung und Anregung beschrieben. Synonyme sind unter anderem "Antriebslosigkeit, Gleichförmigkeit, innere Leere, Trostlosigkeit, Überdruss, Unlust und Unterforderung". Und Sie haben bestimmt auch schon oft genug gehört „Ich sterbe vor Langweile“. 

 

Aber ist Langeweile wirklich so schlimm? Und kann etwas wirklich so tödlich langweilig sein, dass die eigene Existenz bedroht ist? 

 

Langweile an sich lässt sich als biochemischen Prozess erklären. Durch Monotonie wird das Belohnungszentrum unseres Gehirns nicht richtig aktiviert und es kommt zu Dopaminmangel (Dopamin ist einer der Botenstoffe im zentralen Nervensystem). Die Folgen sind ein Gefühl der inneren Leere, ein unruhiges Verlangen „nach etwas“, ein verändertes Zeitgefühl (die Zeit scheint still zu stehen) und der Mensch befindet sich in einem Dilemma zwischen Betätigungsdrang und Betätigungshemmung. 

 

Dieses Gefühl der inneren Leere wirkt sich bei uns auf verschiedenen Ebenen aus: 

 

  1. Auf unsere Emotionen - wir fühlen uns lustlos, die Zeit vergeht quälend langsam und wir empfinden ein negatives Gefühl
  2. Auf unser körperliches Empfinden - wir sind antriebslos, müde, unruhig, haben eine geringe Körperspannung und unser Blick geht ins Leere
  3. Auf unsere Gedanken - wir wissen nicht, was mir mit der Zeit anfangen sollen, empfinden sie als bedeutungs- und sinnlos, unsere Gedanken schweifen ab und wir haben Schwierigkeiten, uns zu konzentrieren. 
  4. Auf unsere Motivation - wir sind wenig motiviert, haben aber dennoch den Wunsch, die Situation zu verändern oder verlassen zu können.

 

Auch gibt es verschiedene Formen der Langweile. Von einer indifferenten, die als nur schwach negatives Gefühl erlebt wird und einer Entspannung gleicht, über eine zielsuchende, die uns rastlos nach neuen Beschäftigungen suchen lässt, bis hin zu einer apathischen Langweile, die erlernter Hilflosigkeit und Depressionen ähnelt. 

 

 

Langeweile - ein Problem der heutigen Zeit?

 

Das Phänomen der Langeweile ist sehr vielschichtig und nicht erst ein Kind unserer Zeit. Schon im 17.Jhd. finden sich Quellen, die den quälenden Zustand beschreiben: 

 

Nichts ist so unerträglich für den Menschen, als sich in einer vollkommenen Ruhe zu befinden, ohne Leidenschaft, ohne Geschäfte, ohne Zerstreuung, ohne Beschäftigung. Er wird dann sein Nichts fühlen, seine Preisgegebenheit, seine Unzulänglichkeit, seine Abhängigkeit, seine Ohnmacht, seine Leere. Unaufhörlich wird aus dem Grund seiner Seele der Ennui aufsteigen, die Schwärze, die Traurigkeit, der Kummer, der Verzicht, die Verzweiflung“ - soweit der Literat, Naturwissenschaftler und Philosoph Blaise Pascal im 17.Jhd. 

 

Der dänische Philosoph, Theologe und Schriftsteller Søren Kierkegaard behauptete ein Jahrhundert später, dass die Götter sich langweilten und deswegen den Menschen schufen. Und dass Adam sich langweilte, weil er alleine war, und darum Eva erschaffen wurde. „Von diesem Augenblick an kam die Langeweile in die Welt“.

 

In der Psychologie, Pädagogik, Soziologie - überall finden sich Berichte, Studien und Artikel über die negativen Auswirkungen von Langeweile. Und diese sollte man in der Tat auf keinen Fall unterschätzen. So beschreibt u.a. die Psychologie Langeweile als Mangel an Selbstregulation und fehlgesteuerte Konzentration. Sie beeinflusst unser akademisches Selbstkonzept und kann zu schlechten Leistungen führen. Sie führt zu Frustration, Erschöpfung und Gleichgültigkeit, lässt uns mehr ungesünderes Essen konsumieren und erhöht die Anfälligkeit für Suchterkrankungen, Depressionen und Angsterkrankungen. Und im schlimmsten Fall führt sie zu einem Bore-out, das schlimme Folgen für die Betroffenen haben kann.

 

 

Warum gibt es sie dann überhaupt, die Langeweile? 

 

Weil sie ein Alarmsignal ist und einen selbstregulatorischen Zweck erfüllt: entsteht Langeweile, ist es an der Zeit, die gegenwärtige Situation zu ändern und ein Bedürfnis zu befriedigen! Sie informiert den Menschen über eine nachlassende emotionale Intensität bzw. einen negativen Zustand und ist somit Triebfeder und Motivationsschub, um aufzubrechen und etwas an der aktuellen Situation zu ändern! 

 

Auch dazu findet man schon im 18.Jhd. Hinweise, und zwar von keinem geringeren als Johann Wolfgang von Goethe: „Doch von Göttern ist voll der Olymp; du kamst mich zu retten, Langeweile! Du bist, Mutter der Musen, gegrüßt!“ 

 

Tatsächlich hört man immer wieder, neben der vernichtenden, auch von der inspirierenden Kraft der Langeweile. Sie wird als Quelle der Fantasie und Kreativität gesehen, die die Beziehung zu uns selbst anregt, weil wir wegen des „geistigen Hungers“ aktiv und produktiv werden. Gelangweilte Kinder lernen angeblich, ihre Antriebskraft zu verbessern und ihre Energie auf neue Ziele und Beschäftigungen zu richten und wir Erwachsenen bringen uns mit Yoga, Entspannungstechniken und Achtsamkeitsübungen sozusagen gewollt in einen Zustand der Langeweile, der dann als „positive Leere“ gesehen wird. 

 

 

Die negative Wirkung der Langeweile überwiegt aber - was also tun???

 

Grundsätzliche haben Sie in diesem Fall zwei Möglichkeiten. Entweder, Sie können die als langweilig empfundene Situation verändern (Ortswechsel, Wechsel der Tätigkeit, Partnerwechsel o.ä.) oder Sie verändern sich selbst, d.h., Ihre Wahrnehmung der Situation oder Ihre Deutung derselben. Das erreichen Sie beispielsweise durch…

 

…die gezielte Steuerung Ihrer Aufmerksamkeit durch das konzentrierte Beobachten „unspektakulärer“ Ereignisse wie atmen oder essen, oder Menschen in der Umgebung (achten Sie mal auf die vielen verschiedenen Schuhe, die Sie im Wartezimmer zu sehen bekommen)

 

…Kritzeln! Das stärkt die Konzentration und Achtsamkeit und hilft, sich gedanklich von der langweiligen Situation abzukoppeln          

 

… Refraiming (welche alternativen Ausdrücke gibt es für Langeweile? Vielleicht so etwas wie „Langeweile = Auszeit“?)

 

…einen Rollentausch: Verlassen Sie die Rolle des Klagenden und geben Sie aktiv Rückmeldung und äußern Wünsche (sagen Sie, was Sie „stattdessen“ machen wollen, damit Sie sich nicht mehr langweilen).

 

 

"Mir ist aber soooo langweilig!"

 

Sollten Ihre Kinder oder Schüler Sie demnächst mal wieder mit diesem berühmten Satz konfrontieren, verzweifeln Sie nicht, sondern gehen Sie die Sache konstruktiv an. Geben Sie der Langweile einen Namen, indem Sie folgende oder ähnliche Fragen formulieren: „Was genau ist langweilig? Was möchtest du stattdessen erleben? Was müsste passieren, damit es dir noch langweiliger wird? Wie fühlt sich Langeweile bei dir an? Wie muss eine Situation sein, damit es dir nicht langweilig ist?“ 

 

Vielleicht können Sie mit diesen Fragen die Situation entschärfen und Ihren und den Blick des Kindes auf die Situation verändern. Gleichzeitig geben Sie dem Kind eine wichtige Rückmeldung und schulen seine Selbstwahrnehmung. Sie nehmen es ernst, helfen ihm, negative Gefühle einzuordnen und zu benennen, und verhelfen ihm im besten Fall dazu, alleine aus dem Negativzustand herauszukommen. 

 

Wir können der Langweile nicht aus dem Wege gehen und nicht immer werden wir etwas Kreatives aus einer langweiligen Situation machen können, aber mit einem anderen Blick auf die Dinge und mit dem Wissen um Existenz, Ursache und Funktion von Langeweile lässt sich das Gefühl der inneren Leere vielleicht ein bisschen besser ertragen. Das wünsche ich Ihnen auf jeden Fall!

 

 

 

 

 

Hinweis: Der Text ist eine Zusammenfassung eines Vortrages, den ich am 19.03.2019 im Rahmen des Förderprogramms „Stärkung der Elternkompetenz“ des Landkreises Mainz-Bingen gehalten habe. Mein besonderer Dank geht hierbei an Svenja Melbye & Dr. Anne Ziesenitz von der „Beratungsstelle Besondere Begabung Hamburg“, die mich durch ihren Vortrag „Langeweile - ein Phänomen mit vielen Facetten“ beim Münsterschen Bildungskongress 2018 erst auf das Thema „Langeweile“ aufmerksam gemacht haben und die mir freundlicherweise Material zur Verfügung gestellt haben.

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