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Exekutivfunktionen -  Für Menschen mit ADHS eine große Herausforderung

 

 

„Du musst dich halt einfach besser organisieren“ - „Konzentriere dich doch mal!“ - „Immer musst du gleich explodieren, wenn dir was nicht passt! Mach dich doch mal locker!“

 

Personen mit ADHS hören diese und ähnliche Sätze immer wieder. Die Botschaft, die sie dabei bekommen, ist immer die gleiche: „Du hast dein Verhalten selbst in der Hand. Und wenn etwas nicht klappt, dann bist du selbst dran schuld.“

 

Doch Menschen mit einer Aufmerksamkeits-(Hyperaktivitäts-)Störung können genau dies eben nicht. Sie haben Schwierigkeiten mit den sogenannten Exekutivfunktionen. Dazu gehören alle Fähigkeiten, die ein Mensch zur Selbstkontrolle und zur Organisation braucht: Planung - Zeitmanagement - Organisation - Aufgaben beginnen - Arbeitsgedächtnis - Selbstkontrolle - Aufmerksamkeit - Durchhaltevermögen - Flexibilität. Was für andere Menschen selbstverständlich bzw. erlernbar ist, ist für Personen mit ADHS aufgrund ihrer Störung ohne Hilfe kaum umsetzbar.

 

Lerneinheiten sinnvoll einzuteilen, ein Referat gut vorzubereiten und auch das Lernen für die nächste Klassenarbeit - all diese Dinge erfordern eine gewisse Planung seitens des Lernenden. Mit der Zeit bekommt man ein Gefühl dafür, was man für eine sinnvolle und gewissenhafte Vorbereitung braucht und lernt, vorausschauend zu planen. Dazu gehören auch Zeitmanagement und Organisation. Doch genau diese Fähigkeiten fehlen Menschen mit ADHS. Sie schaffen es nicht, den Überblick zu behalten, vergessen Termine, verlieren Materialien und geraten so regelmäßig ins Schleudern. Sie sind oft unpünktlich, halten Abgabetermine nicht ein und schaffen es nicht, Aufgaben fristgerecht zu erledigen.

 

Auch die Fähigkeit, Aufgaben selbstständig und ohne Aufforderung zu beginnen und zu erledigen, ist eine der Exekutivfunktionen. Eine Aufgabe selbst dann zu beginnen, wenn man keine Lust darauf hat, verlangt ein hohes Maß an Selbstkontrolle. Das ist die Fähigkeit, seine Emotionen, Gedanken und Aktionen im Griff zu haben. Doch genau da hakt es bei Menschen mit ADHS. Impulsivität ist eines der Hauptmerkmale der Störung und Wutausbrüche und unüberlegtes Handeln stehen häufig an der Tagesordnung - definitiv nicht vereinbar mit der Fähigkeit zur Selbstkontrolle. 

 

Zwei weitere Exekutivfunktionen sind das Arbeitsgedächtnis und die Aufmerksamkeit. „Arbeitsgedächtnis“ bezeichnet die Fähigkeit, Informationen im Kopf zu behalten, während wir damit arbeiten und „Aufmerksamkeit“ die Fähigkeit, sich auf eine Aufgabe für längere Zeit zu konzentrieren. Beide Bereiche bereiten Menschen mit ADHS große Schwierigkeiten - wie man schon unschwer am Begriff „Aufmerksamkeitsstörung“ erkennen kann. 

 

Abschließend möchte ich noch das Durchhaltevermögen und die Flexibilität nennen, die zwei letzten Exekutivfunktionen. Um bei einer Aufgabe durchzuhalten, auch wenn diese schwer und herausfordernd ist, dafür braucht man Durchhaltevermögen. „Ich geb auf, das ist viel zu schwer“ - wer mit ADHS-Kindern zu tun hat, hat dies bestimmt schon oft gehört. Die Fähigkeit, dranzubleiben und nicht aufzugeben, die wurde Personen mit ADHS leider vorenthalten. Hausaufgaben werden dadurch oft zu einem nervenaufreibenden Kampf und Herausforderungen enden nicht selten mit einem Tantrum. Ähnliches lässt sich zur Flexibilität sagen, der Fähigkeit, sich neuen Situationen anzupassen und mit dem Wechsel gut zurechtzukommen. Menschen mit ADHS fühlen sich von solchen Wechseln oft überrumpelt und empfinden die Situation als extrem stressig. 

 

Deshalb ist es unerlässlich, dass man Betroffenen Unterstützung bietet. Das bedeutet nicht, dass man ihnen die Verantwortung abnimmt oder Aufgaben für sie erledigt. Es bedeutet, dass man ihnen Hilfestellung leistet und entsprechende Strategien und Hilfsmittel an die Hand gibt. Was heißt das konkret?

 

Planung, Organisation und Zeitmanagement: 

  • Kalender und Planer zur Verfügung stellen und diese anfangs gemeinsam verwalten: Termine gemeinsam eintragen, Klassenarbeiten, Tests und Abgabefristen notieren usw.
  • Bei den Hausaufgaben oder beim Lernen einen Timer oder eine Sanduhr nutzen, um das Zeitmanagement zu unterstützen
  • Auch den Bereich „Aufgaben beginnen“ kann man mit einer Timer angehen („Noch 10 Minuten spielen, dann fangen wir mit den HA an“)
  • Abends gemeinsam den Ranzen packen und zusammen kontrollieren, ob alle Materialien da sind

 

Flexibilität:

  • Situationswechsel rechtzeitig ankündigen, damit die Kinder sich darauf einstellen können

 

Aufmerksamkeit/Arbeitsgedächtnis: 

  • Die Aufmerksamkeit und das Arbeitsgedächtnis fördern durch Lernspiele und reizarme Umgebung bei den Hausaufgaben
  • „Fidget toys“ anbieten, um die überschüssige Energie zu bündeln usw.

 

Durchhaltevermögen: 

  • Die Kinder nicht überfordern, sondern realistische Anforderungen stellen. Um das Durchhaltevermögen zu unterstützen, brauchen die Kinder zunächst einmal Erfolgserlebnisse. Erst dann sollten Eltern und Lehrer die Anforderungen nach und nach steigern.

 

Selbstkontrolle/Impulskontrolle:

  • Methoden und Strategien zur Impulskontrolle üben. Manchen Kindern helfen Atemtechniken, andere wollen lieber kurz aufstehen und sich eine Runde bewegen und wieder andere nutzen kurze „Mantras“, um sich zu beruhigen.

 

Die allerwichtigste Unterstützung jedoch, die vor allem Eltern bieten können, ist das Zeigen von Zuneigung, emotionaler Unterstützung und bedingungsloser Liebe zum Kind. ADHS-Kinder haben einen extrem steinigen Weg zu gehen. Zeigen Sie ihrem Kind deswegen immer wieder, dass es geliebt wird und dass es wertvoll und liebenswert ist. Auch, wenn der Umgang mit diesen Kindern kräftezehrend und anstrengend ist, stellen Sie sich immer wieder auf seine Seite, suchen Sie sich Hilfe und unterstützen Sie es so gut wie möglich. Und loben Sie es für Dinge, die es gut gemacht hat und an denen es arbeitet. Das braucht es ganz dringend für sein Selbstbewusstsein!

 

Machen Sie sich immer wieder bewusst, ADHS ist kein Erziehungs- und Verhaltensproblem, es ist eine neurologische Störung. Diese Kinder machen nicht mit Absicht Dinge falsch, nur um Sie zu ärgern. Sie können oft einfach nicht anders. Sagen Sie sich das immer wieder. Und denken Sie auch dieses Mal wieder daran: 

 

Humor und Geduld sind zwei Kamele, mit denen man durch jede Wüste kommt!

 

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